Stell dir vor, du versuchst zweimal dich einer Verkehrskontrolle zu entziehen, indem du innerorts mit 100 km/h über rote Ampeln und auf der Autobahn Schlangenlinien fährst, andere Verkehrsteilnehmer zum Ausweichen und scharf Bremsen zwingst, ein Polizeiauto beschädigst und dabei sogar Polizisten verletzt und schließlich beide Male im Graben landest. Gleichzeitig besitzt du nicht mal eine Fahrerlaubnis und zu guter Letzt werden in deinem Blut aktive Werte von THC und Amphetamin nachgewiesen. Eine Verurteilung wegen Gefährdung des Straßenverkehrs im Zusammenhang mit Fahren unter Drogeneinfluss scheint so sicher, wie das Amen in der Kirche oder?
Na gut, der oben genannte Fahrer wurde zwar vorerst am siebten März diesen Jahres vom Landgericht in Gießen zu 22 Monaten Haft verurteilt, er ging aber in Revision und hatte dabei Erfolg, da die Richter des Bundesgerichtshofs Verfahrensfehler im Prozess erkannt haben. Der BGH hob folglich am zweiten August dieses Urteil auf und wies zudem im Besonderen darauf hin, dass in seinem konkreten Fall, der Zusammenhang zwischen den Fahrauffälligkeiten und dem vorangegangenen Drogenkonsum, bislang nicht als bewiesen gilt und den Straftatbestand der Trunkenheit im Verkehr damit nicht rechtfertigt.
Blutwerte und Ausfallerscheinungen
Der BGH verweist hierbei auf ein bereits bestehendes Urteil aus dem Januar 2017, in welchem klargestellt wurde, dass alleine der Nachweis von psychoaktiven Substanzen im Blut, nicht ausreicht, um den Straftatbestand der Trunkenheit im Verkehr zu begründen.
„Der Nachweis einer drogenbedingten Fahrunsicherheit im Sinne von § 316 StGB kann nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern.“
Kurz zum Vergleich, bei Alkohol ist eben genau das der Fall, und zwar ab 1,1 Promille, aber dazu später mehr. Die Richter urteilten außerdem, dass es einer besonderen Beweisführung und -würdigung bedarf, um grob fehlerhaftes und risikoreiches Fahrverhalten als drogenbedingte Ausfallerscheinungen zu deklarieren.
„Es versteht sich unter den hier gegebenen Umständen auch nicht etwa von selbst, dass in dem festgestellten Fahrverhalten des Angeklagten eine drogenbedingte Fahrunsicherheit zum Ausdruck gekommen ist.“
Also selbst bei der Überschreitung der durch die Grenzwertkommission empfohlenen Grenzwerte von harten Drogen und Cannabis, ist nicht automatisch von fahrtauglichkeitsrelevanten Ausfallerscheinungen auszugehen. Mehr über diese Grenzwerte und die Sonderstellung von Cannabis dabei erfährst du übrigens in diesem Video: Cannabis vs. harte Drogen
Keine absolute Fahruntüchtigkeit bei Drogen
Das steht im krassen Kontrast zur Gesetzeslage bezüglich einer Fahrt unter Alkoholeinfluss. Für Alkohol gibt es die in Paragraf 24a StVG festgelegte 0,5 Promillegrenze, sowie den Begriff der absoluten Fahruntüchtigkeit, von der ab 1,1 Promille auszugehen ist, festgelegt durch ein Urteil des BGH am 28. Juni 1990. Sogar für die verminderte Schuldfähigkeit oder die Unzurechnungsfähigkeit, also die komplette Straffreiheit, gibt es bei Alkohol Grenzwerte. Für ersteres ist in der Praxis bereits ein Wert ab 2 für Letzteres ein Wert ab 3 Promille die Regel.
BGH stützt Dauerkonsumenten
Des Weiteren stellt sich der BGH sogar hinter Menschen, bei denen sehr hohe Wirkstoffmengen von Drogen im Blut nachgewiesen wurden.
„Auch mit Blick auf die mitgeteilten Blutwerte versteht sich ein Indizwert des Fahrverhaltens des (konsumgewohnten) Angeklagten für seine jeweilige Fahruntüchtigkeit nicht von selbst. Zwar können die Anforderungen an Art und Ausmaß drogenbedingter Ausfallerscheinungen umso geringer sein, je höher die im Blut festgestellte Wirkstoffkonzentration ist“
Also selbst als „Konsumgewohnter“, mit tendenziell eher höheren Konzentrationen im Blut, darf man nicht unter Generalverdacht gestellt werden, dass sich dadurch bereits eine Kausalität in Bezug auf die Fahrtauglichkeit ergibt. Umso höher der Wert, desto wahrscheinlicher ist es jedoch auch, dass bereits bei geringen Anzeichen für Ausfallerscheinungen hier ein Zusammenhang gesehen wird. Im oben genannten Fall lagen die Werte der aktiven Wirkstoffe bei den zwei Auffälligkeiten jeweils bei 320 ng/ml Amphetamin sowie 3,4 und 17 ng/ml THC. Vor allem für Menschen, die Cannabis als Medikament täglich einnehmen, dürfte das Urteil eine große Erleichterung bedeuten, da sich die Hexenjagd im Falle eines Unfalls durch diese Rechtssprechung etwas entschärfen dürfte. Auch wenn man in Zukunft als Medizinalcannabispatient hoffnungsvollerweise nicht mehr permanent mit einem Bein im Gefängnis steht, wenn man am Straßenverkehr teilnimmt, gibt es für diese Menschen aber trotzdem noch so einiges zu beachten, worauf unser Verkehrspsychologe Manuel Cran in diesem Video näher eingeht: Muss ich wegen Medizinalcannabis zur MPU?
Weniger Strafverfahren nach der Legalisierung
Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs kann man durchaus im Lichte der aktuellen Legalisierungsbemühungen interpretieren, da die unter anderem angestrebte Entlastung der Justiz durch die Legalisierung von Cannabis, sich ganz sicher nicht realisiert, wenn zukünftig jeder Gelegenheitskonsument im Handumdrehen ordnungswidrig oder gar straffällig wird, wenn er viele Stunden oder Tage später am Straßenverkehr teilnimmt. Wer zum Zeitpunkt eines Unfalls noch unwirksame Restwerte von THC im Blut hat, sollte deshalb nicht ohne genaue Prüfung nach Paragraf 316 oder 315c StGB verurteilt werden. Welche Änderungen es dafür noch braucht und wie das am Ende in der Praxis aussehen könnte, erzählt dir unser Verkehrspsychologe in diesem Video: Cannabis Legalisierung: Umsetzung in der Praxis
Auch wenn das BGH durch dieses Urteil den Ball im Grunde nur zurück an das zuständige Landgericht gespielt hat, die Annahme von verminderter Schuldfähigkeit oder Unzurechnungsfähigkeit äußerst schwer durchzusetzen sein wird, wodurch alle anderen in Tateinheit begangenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten vermutlich strafbar bleiben und eine erneute Verurteilung nach Paragraf 316 StGB in der Nachverhandlung auch nicht ausgeschlossen ist, erkennt man trotzdem wo die Reise hingeht. Falls du also mit aktiven Wirkstoffwerten von Drogen oder Alkohol kontrolliert oder durch einen Unfall aufgefallen bist, könnte dies zukünftig günstiger für dich ausgehen als bisher.
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